Shure KSE1500 & SHA900 - wie alles begann...

Allison Wolcott | 13.01.2016 Shure KSE1500 & SHA900 - wie alles begann...

Das elektrostatische Ohrhörer-System KSE1500 und  der Kopfhörer-Verstärker SHA900 gelten bei Shure als echter Durchbruch.  Hinter den Kulissen lief allerdings nicht alles immer so reibungslos  ab, wie man sich das gemeinhin gewünscht hätte. Unsere Shure US Kollegen  Sean Sullivan (Product Management) und Roger Grinnip  (Engineering)  stehen Allison Wolcott Rede und Antwort.

Allison Wolcott: Früher ließen sich Premium-Klang  und Mobilität nicht unbedingt unter einen Hut bringen. Wie haben KSE1500  und SHA900 nun diesen Umstand verändert?

Sean Sullivan: Mobile Premium Klangqualität ist  etwas, was lange Zeit nicht umsetzbar war. Nach und nach wurde die  Speicherkapazität der mobilen Endgeräte aber zusehends größer und bei  vielen Nutzern kam der Wunsch nach qualitativ hochwertiger Musik auf,  die sie schlichtweg überall hören können. Die Technologie wurde immer  besser, die Nachfrage nach entsprechenden Geräten stieg.

Der KSE1500 ist ein System, mit dem Klang, wie man ihn sonst nur von  großen Anlagen kennt, überall gehört werden kann. Ein Riesenschritt in  der Geschichte der mobilen Audiowiedergabe.

body_01a 

Allison Wolcott: Was war Eure Aufgabe bei diesem Projekt?

Roger Grinnip: Ich hatte irgendwann diese Idee,  urplötzlich war sie da. Ich wusste damals natürlich nicht, ob sie  überhaupt durchführbar ist. Aber wir haben bei uns die Möglichkeit, die  verrücktesten Dinge vorzuschlagen und die anderen Kollegen können ihr  Feedback dazu geben. Meine Rolle bestand darin, die technischen Hürden  zu nehmen und die Idee Realität werden zu lassen.

Sean Sullivan: Roger war vom Start weg der  Projektleiter. Bei mir ging es eher um die Details. Mein Team  recherchiert die Anforderungen des Marktes und Roger denkt sich Mittel  und Wege aus, um diese zu erfüllen. Roger ist einer dieser Ingenieure,  die den Spagat zwischen Marketing und Engineering beherrschen - eine  bemerkenswerte Eigenschaft. Wir haben etwas ausprobiert, dann etwas  geändert und dann wieder von vorne begonnen. Es war eine Heidenarbeit.

Roger Grinnip: Diese Momente, in denen Du ein  Problem löst und damit einen Klang schaffst, der Dich denken lässt "ja,  daran könnte ich mich gewöhnen...", diese Momente sind einfach  großartig. Man darf nicht vergessen, dass außer uns kein Mensch -  irgendwo auf der Welt - schon einmal das gehört hatte, was wir gerade  hörten. Ein unvorstellbar gutes Gefühl.

body_02 

Allison Wolcott: Es ist ja nun das erste Mal, dass  elektrostatische Technologie in einem Sound Isolating Ohrhörer zum  Einsatz kommt. Wieso war das zuvor nicht möglich?

Sean Sullivan: Es ist nicht so, dass wir irgendein  geheimnisvolles Material o. ä. entdeckt hätten, das es ermöglicht, einen  elektrostatischen Wandler in ein derart kompaktes Design zu bringen.  Vielmehr haben wir hier ein Team an Ingenieuren, die sich auf das Design  von Wandlern spezialisiert haben, und mit kompakten Bauformen sind wir  ohnehin bestens vertraut. Immerhin machen wir hier bei Shure schon seit  über 20 Jahren Ohrhörer. Ich kenne kein anderes Unternehmen mit dieser  Erfahrung, das so ein Projekt stemmen könnte.

Roger Grinnip: Um viel Sound zu erzeugen, muss man  viel Luft über eine recht große Oberfläche bewegen, also gibt es ein  paar Kompromisse beim Umfang der Oberfläche sowie bei der Größe der  elektrostatischen Treiber. Normalerweise sind elektrostatische  Lautsprecher und Kopfhörer richtig groß und typischerweise ein Dipol.  Sie rotieren vor und zurück. Dies birgt einige Nachteile, wenn man tiefe  Frequenzen wiedergeben möchte, da man Kompression und Expansion  verursacht; dadurch werden die tiefen Töne ausgelöscht. Bei den KSE1500  Ohrhörern ging das natürlich gar nicht. Die Abstrahlung vom Hinteren der  Membran ist umschlossen und vom vorderen Teil isoliert. Wenn man all  die kleinen Stücke und Teile entwickelt, die elektrostatische  Technologie auf Miniatur-Ebene ermöglichen, hat man viele der  ursprünglichen Nachteile von vornherein eliminiert.

Allison Wolcott: Aber der Ohrhörer ist ja nicht die  einzige Innovation beim KSE1500, das Kabel ist auch eine. Erzählt Ihr  uns auch hier die Geschichte dazu?

Roger Grinnip: Die elektrischen Anforderungen an ein  Kabel für einen elektrostatischen Ohrhörer sind komplett anders als für  ein Kabel, das an einem Balanced Armature Driver Ohrhörer angebracht  wird. Die Kapazität spielt da fast keine Rolle. Die Impedanz des  Treibers ist niedrig genug, dass austretende Kapazität zu  vernachlässigen ist. In diesem Fall ist die Kapazität des Treibers sehr,  sehr niedrig. Ein elektrostatischer Treiber funktioniert, indem die  Ladung über verschiedene Platten anliegt.  Die Ladung, die hier anliegt,  ist eine Funktion der Kapazität. Eine sehr geringe Kapazität bedeutet,  dass Du nicht viel Ladung hast. Die Kapazität des Ohrhörer-Treibers ist  20 bis 30 mal geringer als die Kapazität des Kabels.

Die Herausforderung lag darin, die Kabel-Kapazität so weit  herunterzufahren, bis unser Verstärker damit arbeiten konnte. Das hat  einige gravierende Veränderungen für das Kabel-Design mit sich gebracht,  verglichen mit unseren herkömmlichen Kabeln. In dem Moment, in dem Du  die Dinge modifizierst, die das normale Design zum Laufen bringen,  bewegst Du Dich von einem elektrischen Problem (Kapazität reduzieren)  hin zu einem mechanischen, da Du die Stärke Deines Kabels reduzierst.  Dann kam noch dazu, dass Sean ein rundes Kabel wollte, da dies unterwegs  einfach komfortabler ist, selbst wenn elektrostatische Kabel  normalerweise flache Bandkabel sind, weil ihre Kapazität gering ist -  und schon hast Du ein recht großes Engineering-Thema.

body_03 

Dennoch ist da nichts Mystisches dabei, wie wir das Ganze gelöst  haben. Die Entwicklung eines runden Kabels mit geringerer Kapazität  lässt sich auf ein bisschen Mathematik und Wissen um Kapazität  herunterbrechen. Der echte Trick bestand darin, das Ende des Kabels  möglichst robust zu bauen, was einiges an Experimenten und  Wiederholungen bedeutete. Unsere Produkttests sind ganz und gar nicht  ohne, wirklich nicht. Wir stellen heftige Dinge mit Produkten an, die  eigentlich perfekt sind. Beim Kabel war es ebenso. Und wir haben das  alles wiederholt, bis das Kabel alle Tests bestanden hatte.

Allison Wolcott: Was war zuerst? Der KSE1500 oder der SHA900?

Sean Sullivan: Wir waren voll mit dem KSE1500  beschäftigt, mit dem Design des Verstärkers und seiner Features. Wir  haben getestet, Prototypen gebaut und diese für Testzwecke verwendet.  Einige von ihnen waren sehr empfindlich. Jemand aus dem Team meinte,  dass es super wäre, einige der Features des Verstärkers auszuprobieren,  ohne diese fragilen Ohrhörer-Prototypen dafür nutzen zu müssen. Also,  den Verstärker mit unseren anderen Ohr- und Kopfhörern zu testen. Und  wir sagten alle "Ja, das wäre großartig".

Der Markt für portable DAC Verstärker hatte in den letzten paar  Jahren deutlich zugelegt. Hätten wir schon vor acht Jahren mit dem  SHA900 angefangen, hätte uns das vermutlich niemand genehmigt, einfach,  weil damals kein Markt dafür vorhanden war. Da wir aber bereits voll mit  dem KSE1500 zugange waren, mit all den Features, die man auch für einen  eigenständigen, portablen DAC benötigt, sahen wir die perfekte  Gelegenheit, auf den Zug aufzuspringen. Der wachsende DAC Markt lag auch  in immer besseren Endgeräten begründet. Zudem sahen Leute so langsam  ein, dass man eher in ein portables HiFi-System investieren sollte, das  man regelmäßig unterwegs nutzt, anstatt in eine Heimanlage, die man so  gut wie nie verwendet.

Allison Wolcott: Theoretisch kann man den SHA900 mit  jedem Kopfhörer mit 3,5 mm Buchse verwenden. Gibt es Shure Modelle, die  Du für besonders geeignet bzw. ungeeignet erachtest?

Sean Sullivan: Es gibt keinen bestimmten Kopf- oder  Ohrhörer, der für den SHA900 besser geeignet ist als ein anderer.  Allerdings gibt es Punkte bei einigen unserer Ohr- und Kopfhörer, wo  sich der SHA900 besser macht als andere portable DACs. Es ist also eher  so, dass der SHA900 sich besser für Shure Listening-Produkte eignet als  andere DACs.

body_04 

Allison Wolcott: Es gibt jede Menge  Einstellmöglichkeiten, die die User selbst vornehmen können. Wie habt  Ihr dies in Einklang gebracht mit den Presets?

Sean Sullivan: Unterwegs ist eine einfache,  komfortable Bedienung extrem wichtig. Wenn Leute ihr Gerät unterwegs  bedienen, wollen sie meist nicht viel herumexperimentieren und dies oder  jenes austesten. Also haben wir zwei Haupt-Kontrollmöglichkeiten beim  KSE1500 Verstärker und beim SHA900: einen Knopf und ein Drehrad. Du  kannst ihn einfach in Deiner Tasche lassen, und bequem mit einer Hand  steuern. Wir mussten einfach die Einstellungen priorisieren, die User am  liebsten selbst kontrollieren, und diese Steuerung möglichst einfach  gestalten. Wir hatten eine Gruppe User hier, die einen super Job gemacht  haben, indem sie uns geholfen haben, Menüpunkte und Navigationsschritte  so einfach wie möglich zu halten.

Roger Grippin: Diese User Meetings - wow. Ich bin  echt froh über all die extra Funktionalität. Die ersten Versionen der  Produkte waren analog in, analog out und Lautstärkekontrolle. Da hat  sich also ziemlich viel getan dank der User Gruppen. Was sie hier  gemacht haben, ist extrem wichtig und hat uns sehr dabei geholfen, ein  so großartiges Produkt zu machen. Aber es war teilweise schon ganz schön  anstrengend.

Sean Sullivan: Es gab immer wieder Momente in diesen  Meetings, wo ich dachte "jetzt brauche ich einen Kaffee". Aber wenn man  dann mal einen Schritt zurückgeht und sich die ganzen Details  betrachtet, die aus diesen Meetings hervorgekommen sind, und sieht, wie  sich eines zum anderen fügt, merkt man, dass dies ein Riesenunterschied  für das Produkt bedeutet.

Roger Grippin: Du hat sowas von Recht. Du arbeitest  gerade daran und denkst "nein, Schluss jetzt, das reicht.", aber dann  merkst Du, dass exakt diese Änderung einen großen Unterschied ausmacht.

body_05 

Allison Wolcott: Beide Produkte bieten 24 bit/96 kHz  Analog-Digital/Digital-Analog-Wandlung und erfüllen damit die  Anforderungen der Japan Audio Society. Wie kam das zustande? Und warum  24/96?

Sean Sullivan: Wir hatten ein Treffen mit der Japan  Audio Society. Das ist eine Non-Profit-Organisation, die es sich zur  Aufgabe gemacht hat, das Hörerlebnis zu verbessern, in dem sie Regeln  für die Aufnahme- und Wiedergabe-Qualität von digitalem Audio definiert.  Was sie versuchen, ist eine gute Idee, aber auch recht schwierig. Ihre  Prinzipien haben sich mit unseren gedeckt, also haben wir uns darauf  verständigt, dass wir ihr Logo auf unserem Produkt nutzen wollen.

Viele Menschen haben uns gefragt, warum wir 24/96 gewählt haben. Es  kommt darauf an, portabel zu sein und das meiste aus iOS und Android  herauszuholen. Das Maximale, was Du erreichen kannst, ist eine 24-bit/96  KHz Sample-Rate. Unsere Wahl des DAC/ADC Chips erfüllt den maximalen  Standard für die Leistung dieser mobilen Geräte. Wenn wir einen Chip mit  einer höheren Sampling-Rate genommen hätte, hätte sich das negativ auf  die Effizienz und die Batterielebenszeit ausgewirkt, ohne einen echten  Vorteil zu bieten.

Allison Wolcott: Wie sieht es denn generell mit der Batterielebenszeit aus im Vergleich zu der anderer portabler Geräte?

Sean Sullivan: Das ist alles ziemlich identisch. Die Batterie des KSE1500 hält sieben bis zehn Stunden durch.

Allison Wolcott: Was ist der Vorteil, sowohl DAC als auch ADC Funktion zu haben?

Sean Sullivan: Die meisten portablen DACs sind reine  DACs. Sie konvertieren digitale Audiosignale in analoge. Unserer hat  zudem die ADC Funktion, die analog in digital umwandelt. Dies erlaubt  Dir, das analoge Signal in ein digitales umzuwandeln, so dass Du unsere  DSPs nutzen kannst, dann wird es wieder auf analog zurückgewandelt und  ausgespielt. Damit sind auch alle analoge Wiedergabegeräte kompatibel  mit unseren DAC/ADCs und können unseren DSP verwenden. Die meisten  anderen Produkte können das nicht von sich behaupten.

Zudem, diejenigen, die hochwertige, digitale Audioplayer mit analogen  Ausgängen und Klangquellen mit höheren Bitraten besitzen, können unsere  Verstärker in der Analog-Einstellung nutzen. Dabei lassen sie  den digitalen Signalprozessor außen vor, indem sie den Bypass Modus  wählen und können immer noch die Vorzüge der Verstärkung und, beim  KSE1500, der elektrostatischen Technologie nutzen.

Allison Wolcott: Wie waren denn die Reaktionen anlässlich der ersten Produktvorstellung in Tokio im Oktober letzten Jahres?

Sean Sullivan: Tokio ist ein Riesenmarkt für  High-End Audio. Fast jeder dort pendelt mit dem Zug zur Arbeit und hört  dabei Musik. Die Leute waren sogar noch beeindruckter als ich wir uns  das je hätten vorstellen können. Ich war so stolz, die Produkte  präsentieren zu können, nach so vielen Jahren Entwicklungzseit. Ich  spreche kein Japanisch, aber ein Lächeln ist international. Du brauchst  keine spezielle Sprache sprechen, um zu wissen, was es bedeutet, wenn  jemand strahlt. Sie haben die Produkte geliebt.

Allison Wolcott

Allison Wolcott

Allison Wolcott started singing at Shure and now sings wherever she can. She wishes she were Brandi Carlile, Neko Case, and Johnny Cash all rolled up in a voice box. Her favorite mic is the BETA®87A.